Rückblick ↹ Tunnelblick ↹ Durchblick

19. November 2013

Heute Morgen bin ich ganz allein spazieren gegangen, um meinen Kopf freizupusten. Dabei komme ich oft auf einen Gedanken, der mich bis zum Ende des Weges begleitet und nicht mehr loslässt. So auch heute.

Es ging um Entscheidungen. Welcher Entscheidungstyp bin ich eigentlich? Ich entscheide sehr viel allein: für mich selbst, die Kinder und damit auch für die Familie. Es gibt Kopfentscheider und Bauchentscheider – also mit Vernunft oder entscheide ich rein emotional? Was ich gar nicht leiden kann, sind Tunnelstricker – diese, die sich den Tunnel der mangelnden Entscheidungsfähigkeit selbst stricken.

Kleines Beispiel: Kürzlich beim Bäcker stand eine Frau vor mir, mittleren Alters. “10 normale Brötchen, bitte” – “Ja, gern. Spitze oder runde?” – “Ääähhh.. Hmm. jooo…” Ich fragte mich, warum sie nicht einfach 5 spitze und 5 runde Brötchen nimmt und somit beim nächsten Mal weiß, welche sie möchte. Um den Prozess abzukürzen (hatte es eilig), sagte ich laut: “Die spitzen Brötchen schmecken uns besser!” Die Frau kannte mich gar nicht, freute sich aber, dass ich ihr die Entscheidung abnahm und nahm also 10 spitze Brötchen. UFF!

Damals hatte ich mal eine Freundin, von der ich mich inzwischen konsequent distanziert habe, die dieses Phänomen an jeder Ecke in sich trug. Die rief immer ihren Mann an, um zu wissen wie sie entscheiden soll – dabei war sie gebildet und selbstbewusst. Shopping mit ihr war enorm anstrengend. Sie suchte einen blauen, schlichten Pullover mit V-Ausschnitt ohne Schnickschnack, Preis war klar. Ich dachte, ich könne es mal wagen mitzugehen, denn die Vorstellung war doch sehr konkret. HA! Aber was erwartete mich? Sie fand den ersten Pullover, zog ihn an – er passte perfekt und gefiel, Preis ok. Ich hätte den nun so gekauft – aber nicht sie. Sie schleppte mich durch weitere 5 Geschäfte, fand weitere perfekte Pullover und kaufte sie nicht. Nach fast 2 Stunden kehrten wir zurück ins allererste Geschäft. Dort ließ sie sich nochmal den zurückgelegten Pullover geben, zog ihn an und ich musste ein Foto mit ihrem Handy machen. Das schickte sie ihrem Mann, ob denn dieser Pulli auch ihm an ihr gefiele – ich spreche hier nicht von einer großen Investition! Ich war mega genervt, sie kaufte endlich das Teil und wir konnten nach Hause fahren. Später hörte ich, dass sie den Pullover nach 2 Tagen wieder zurück ins Geschäft gebracht hat. Das war der allerletzte gemeinsame Einkaufsbummel.

Natürlich gibt es Entscheidungen, die man nicht leichtfertig trifft und länger darüber nachdenken sollte – da muss man abwägen und mit Bedacht entscheiden. Doch solche o.g. Menschen können das nicht allein – sie brauchen immer jemanden, der für sie mitdenkt. Wie sollen diese Menschen, die kleine Dinge des alltäglichen Lebens wie den Kauf eines normalen Pullovers nicht allein bewältigen können, jemals richtungsweisende Entscheidungen treffen? Das empfinde ich als sehr anstrengend. Um mal eine ganz persönliche Situation darzustellen, wie ich selbst – die immer als völlig rational denkend eingestuft werde – für mich große Entscheidungen getroffen habe, dürft ihr hier in meine Geschichte eintauchen:


Rückblick:
Ich wohnte gleich nach dem Abitur bereits nicht mehr zu Hause bei den Eltern, sondern gute 100 km entfernt, was ich mir bewusst so ausgesucht hatte. Ich wollte weg aus der Heimatstadt und doch so nah bleiben, dass ich jederzeit einen Rettungsanker habe. Sicherheitsdenken! In einer gemütlichen, mittelgroßen Stadt fand ich eine Werbeagentur, die mir ein neues Zuhause gab: alle Kollegen und der Chef waren nett und wie eine zweite Familie für mich. Ich fühlte mich pudelwohl und hatte viel Spaß. Nach 2 Jahren hatte ich meine IHK-Abschlussprüfung in Köln. Nach erfolgreicher Absolvierung gab mir einer der vorsitzenden Prüfer seine Visitenkarte und sagte zu mir: “Melden Sie sich bitte bei mir. Ich möchte Sie unbedingt für mein Team!” Ich machte nur große Augen und lief wahrscheinlich tiefrot an, fuhr aber mit einem beschwingten Gefühl nach Hause und spielte tagelang mit der Visitenkarte. Ich kam aus einer kleinen, unbedeutenden Agentur und sollte nun in so ein großes, wichtiges Team? “Bin in dem gewachsen?”, fragte ich mich. Ich fasste mir ein Herz und zeigte die Karte meinem damaligen Chef. Der war geschockt und wollte mich auch so gern als Mitarbeiterin behalten. Er bot mir also ein Gehalt, das ich nicht ablehnen konnte und schließlich wollte ich auch das tolle Team nicht im Stich lassen – also blieb ich!

Ich entschied mich also für die bequemste Lösung, nicht für die sehr viel Interessantere und vielleicht Richtungsweisendere: Tunnelblick! Wer weiß, wer ich heute wäre, wenn ich damals das Angebot angenommen hätte und mich ins kalte Wasser gestürzt hätte? “Wenn und Hätte sind tot”, sagen wir hierzulande. Es lohnt also nicht, weiter darüber nachzudenken.

Wenige Jahre später aber wurde es mir doch zu langweilig in dem inzwischen gewohnten Nest und ich sollte eine Entscheidung treffen, die ich aus dem Bauch heraus und ohne Vernunft steuerte. Mein Plan war ursprünglich, zum Studium nach Berlin zu gehen und die letzten Semester in den USA zu absolvieren – hinaus in die weite Welt also. Alles war vorbereitet und sollte gerade in trockene Tücher verpackt werden, da traf ich meinen heutigen Mann. Wie ihr euch denken könnt, hat diese Begegnung eine große Wende in mein Leben gebracht. 


Ich war wieder in einem Tunnel (wie heute Morgen beim Spaziergang) und ich wusste nicht, in welche Richtung ich gehen sollte: Nach vorn in eine ungewisse Zukunft mit einem älteren Mann, der schon eine Ehe hinter sich und aus ebendieser schon zwei pubertierende Kinder hatte, der außerdem wiederum in einer ganz anderen Stadt lebte, aber nah meines Heimatortes, wo ich ja nicht mehr sein wollte? Oder sollte ich mich umdrehen und meinem Plan folgen, in die weite Welt zu gehen? Oder: Alles sein lassen und bleiben, wo ich war? Ich war zerrissen, wägte Antworten ab – fand neue Fragen.

Man weiß nie, was am anderen Ende des Tunnels lauert: Scheint dort die Sonne, ist das Gras wirklich grüner oder erwarten mich Unwetter? Man könnte ja auch zurückkehren und den Tunnel in die andere, vertraute Richtung wieder verlassen. Du musst dich nur immer fragen, ob du das wirklich möchtest und ob es dich glücklich macht.


In meinem Fall war nun der “unbequeme” Weg der Richtige. Ich ließ mich ein auf diesen Mann und stürzte mich in ein Abenteuer, das ich nicht wirklich überblicken konnte. Meine Familie stellte sich dagegen, Freunde hielten mich für “völlig abgedreht und unvernünftig”, mein Chef prophezeite mir den Untergang.




Ich habe mich dennoch aus dem Tunnel gelöst, ging in eine ungewisse Zukunft und habe GEWONNEN. Der Weg war steinig, aber lohnenswert. Es hätte schief gehen können – ich hätte tief fallen können, ohne weiches Kissen! Ich war jung und habe mir gedacht “Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn ich meinen Job wechsele, zu ihm ziehe und womöglich nach einem halben Jahr merke, dass es der falsche Weg war?” Ja – ich hätte mir eine neue Wohnung und einen neuen Job suchen müssen. Ich hatte ja noch keine Kinder, also warum nicht etwas wagen?

Heute haben wir als Ehepaar so viel geschafft, uns erfolgreich selbständig gemacht (was damals auch viele mit Kopfschütteln quittierten) und haben wunderbare Kinder zusammen. Natürlich ist nicht immer alles eitel Sonnenschein, aber wo ist das schon so. Unsere Familien können sich kaum an die anfängliche Ablehnung dieser Verbindung erinnern. Alles ist gut! 
Vielleicht erzähle ich euch demnächst mal unsere Kennenlerngeschichte und über die spannende Anfangszeit der Beziehung. Wobei: spannend bleibt es ja immer…

Ich habe mein Glück gefunden!


Was möchte ich mit diesem Artikel eigentlich sagen?

Blickt mal zurück, was ihr schon im Leben geschafft habt. Welche Entscheidungen euch trotz kritischer Sicht anderer Menschen doch zum Glück verholfen haben. Verlasst den Tunnelblick und verschafft euch den Durchblick zu dem großen Ganzen! “Was kann schlimmstenfalls passieren?” Manchmal liegen die Lösungen nicht gleich auf der Hand – oft sind sie unsichtbar und tun so, als würden sie euch in noch tiefere Schwierigkeiten bringen.

Aber vielleicht ist ja am Ende GENAU DAS die LÖSUNG!

Die von mir beschriebene Situation ist nur eine Schablone für Entscheidungen, vor denen man immer wieder steht – für sich selbst oder für die Familie (Kinder). Manifestiert es nicht auf das Thema Karriere oder Beziehung – es ist weit mehr als das und lässt sich beliebig ausdehnen. 

Demnächst steht für uns wieder eine richtungsweisende Entscheidung an, wie für viele andere Eltern auch: Welche weiterführende Schulform wählen wir für unser Kind? Auch da kann man wieder die Schablone auflegen: “Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn die Entscheidung falsch ist?”

Zu diesem Thema schreibe ich demnächst mal einen extra Post. Denn auch da habe ich bei unserem Sohn vor 3 Jahren “unkonventionell” entgegen vieler anderer Meinung entschieden – bislang der richtige Weg…

Alles Liebe, eure

Gerade heute hat Robert Betz, Psychologe aus München, folgendes auf seiner Facebook-Seite geschrieben: Deine Mitmenschen sind nicht dazu da, deine Erwartungen an sie zu erfüllen und deine Aufgabe ist es nicht, ihren Wünschen gerecht zu werden.

Als Kind warst du den Erwartungen, Forderungen und Wünschen derer ausgesetzt, von denen du abhängig warst und konntest dich diesen Energien nicht entziehen. Die Forderung hieß: ‚Sei normal, pass dich an und werde wie wir‘. Da kaum einer von ihnen eine glückliche Frau oder ein von Freude erfüllter Mann war, übernahmst du ihre Art zu denken und zu verurteilten. Und lerntest, wie man sich unglücklich macht und seiner eigenen Intuition, der Stimme seines Herzens misstraut und sie verleugnet. Der Verrat an deinem Herzen war der Preis deiner Anpassung und deines psychischen Überlebens in der Phase der Abhängigkeit, denn du wolltest dazu gehören.

So haben wir ihre Erwartungen an uns zu unseren eigenen Erwartungen gemacht und ihre Kritik an uns zur Selbstkritik. In wenigen Jahren entstanden so in uns innere Figuren wie ein Antreiber, ein Richter, ein Kontrolleur und ein Perfektionist. Diesen unseren eigenen Schöpfungen, die ein machtvolles Eigenleben in uns führen, können wir heute wieder die Macht entziehen und uns für ein neues Leben entscheiden (siehe Meditation: Schluss mit Hetze, Druck und Stress).

Entscheide dich für deinen ganz eigenen Weg, den nur dein Herz kennt und akzeptiere es, dass Andere dich ablehnen als ‚nicht mehr normal‘, aber verurteile sie nicht, sondern lass auch ihnen ihren Weg des (noch) unbewussten ‚Normalmenschen‘. Die Treue zu deinem Herzen, dein Mut zur eigenen Wahrheit wird dich glücklich machen und Menschen in dein Leben ziehen, die diesen Weg der Wahrhaftigkeit gehen. Du erkennst sie an ihrem Lächeln.”


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Ich freue mich, wenn ihr meinen Artikel teilt:

2 Kommentare

  • Antwort Sandra bloggt 19. November 2013 at 23:26

    Du hast so recht, Stephie!
    Liebe Grüße von
    Sandra

  • Antwort Svenja 19. November 2013 at 20:17

    Ein toller Post und es freut mich wahnsinnig, dass Du Dich immer wieder traust mutig Deinen Weg zu gehen – sicher machst Du damit ganz vielen Frauen Mut, das auch zu versuchen.

  • Ich freue mich über Deinen Kommentar