Ein starkes Miteinander…

10. Juli 2013

Es gibt Themen, die treiben einen so sehr um, dass man schließlich um 4:42h aufsteht, sich einen Sweet-Chili-Tee aufbrüht und schreiben muss:
Die Sonne brennt schon am frühen Morgen. Ich stehe mit vielen anderen Müttern, Vätern und Opas am großen Sportplatz, um als Helferin für die Bundesjugendspiele unserer kleinen, privaten Grundschule eingeteilt zu werden. Endlich Sommer! Die kleinen Gemüter sind so aufgeregt, dass es kreuz und quer herumschnabbelt, bis der Direktor das Wort zum gemeinsamen Gebet erhebt. Stille kehrt ein, die Kinder wie auch die Erwachsenen gehen in sich, wünschen gute, faire Wettkämpfe, für jeden Einzelnen die bestmögliche Leistung und dass alle Kinder vor Verletzungen bewahrt werden.
So gestärkt und geerdet stoben alle Kinder los an ihre Plätze. Als stiller Beobachter sehe ich gut gecremte, behütete Kinder im wahrsten Sinne – aber auch solche, die schüchtern am Rand stehen, eher unbeholfen wirken, sich aber dennoch einreihen zu den ersten Wettkampfdisziplinen.



Ohje, denke ich doch an meine eigenen Bundesjugendspiele in den 80er Jahren zurück, in denen Fairness zwar irgendwo geschrieben stand, aber nicht wirklich gelebt wurde. Obwohl ich eine eher sportliche Schülerin war, belastete mich doch die Anspannung bei dieser Sportveranstaltung. Damals wurden eben nur die sehr guten Läufer, Weitspringer etc angefeuert, die schwachen Schüler eher ausgelacht und mit Häme getrieben.
Nun, das was ich hier und heute unter schweißtreibenden Temperaturen als Mutter und Helferin erleben darf, hat mit meinem Früher nichts zu tun. An dieser Schule ist Werteerziehung sehr hoch angesiedeltund ich bin gespannt auf meine ersten Schüler, die mich erwartungsvoll anschauen, baumelt mir doch eine dicke Stoppuhr um den Hals und markiert mich so als „Stopperin“. Die Kinder werden für ihre 800m (Mädchen) und 1.000m (Jungen) eingewiesen – daran hat sich seit damals nichts geändert.
Ich weiß noch sehr genau, wie lang 800m sein können – und dann bei dieser Hitze. Die Erstklässler nehmen außer Konkurrenz teil, können aber ihr Sportabzeichen erkämpfen und sollen so schon mal schauen wie es läuft, wenn es im nächsten Jahr dann „ernst“ wird.. Viele Kinder kenne ich, auch wenn meine Tochter bald schon der Grundschule entwachsen ist – an einer so kleinen Schule kennt man sich eben. Die ersten Jungen reihen sich also ein zum Start und nun wetzen sie los. Das Stoppen der Zeit macht mir Spaß und ich bin überrascht, wie wenig Kinder nachher zu mir kommen, um ihre erlaufene Zeit zu erfahren – es ist ihnen egal, sie haben es geschafft!
Dann erfolgte das Erlebnis des Tages: ein mir bekannter Junge, nenne ich ihn Max, leidet unter einer leichten Form des Asperger Syndroms.
Exkurs:Er wurde damals zunächst in einer Regelschule eingeschult und nach dem ersten Schuljahr traten erste Probleme mit Lehrern und Mitschülern auf. Das Kind wurde sehr ruhig und separierte sich. Sie Mutter war in großer Sorge, wußte sie noch nicht um die später gestellte Diagnose. Max wechselte die Schule, kam „zu uns“ (das Wir-Gefühl ist an dieser Schule enorm stark) und wurde herzlich aufgenommen. Auch die Mitschüler gaben sich alle Mühe, es ihm leicht zu machen. Max blühte auf, knüpfte erste Freundschaften seines Lebens und ist heute ein „ganz normaler“ Junge.
Max stand nun also vor mir, hatte mich als „Stopperin“ ausgesucht, wie er sagte. Er sah mich an und wollte mir nur noch kurz mitteilen, dass er aber nicht so schnell laufe… Der Startschuss fällt, Max rennt los und plötzlich hörte ich von weit her einige Kinder rufen: „Maaaax, lauuuuf. Du schaffst das! Klasse! Weiter-weiter-loooos! Turbo…“ Mir stellt sich Gänsehautfeeling ein, dass ich fast weinen muss. Welch eine Solidariät unter diesen kleinen Kindern herrscht! Da können Erwachsene aber viel lernen. Max wird durch die Woge des Gemeinschaftsgefühls ins Ziel getragen und wird 5. von 12 Zieleinläufern. Von wegen, er laufe nicht so schnell…
Manch andere Ereignisse beobachte ich am Rand des Sportplatzes, die mir ebenso unter die Haut gehen: eine Schülerin ist stark gehbehindert und wäre sicherlich in „meinem Früher“ als Zuschauerin am Rand der Spiele geblieben. Hier aber gilt das Prinzip des Helfens untereinander und MITeinander, so also nimmt ihr Lehrer sie an die Hand und die beiden starten mit allen anderen Mädchen ihrer Klasse. Der Lehrer geht 400m mit ihr an der Hand in aller Ruhe um den Sportplatz und fragt, ob sie noch die letzten 400m „laufen“ möchte, das Mädchen nickt und strahlt mit der Sonne um die Wette – sie hat die 800m wie alle anderen Klassenkameradinnen absolviert – wird nicht gehänselt, sondern auf den letzten Metern ebenso angefeuert wie alle anderen Kinder! Das nenne ich gelebte Inklusion… Allerdings ist das auch nur möglich, wenn so viele Helfer da sind, dass auch die Zeit für den Einsatz des Lehrers bleibt. Ich darf mich nicht blenden lassen vom Glück, dass unsere Kinder solch eine tolle Einrichtung besuchen dürfen. Nicht jede Schule hat überhaupt die Möglichkeit, so viele freiwillige Helfer einzusetzen – Elternmithilfe wird hier sehr groß geschrieben und Gemeinschaft wird gelebt.
Wie schön, dass der Lehrer sich die Zeit genommen hat für das Mädchen – dieses Erlebnis wird sie sicher nie vergessen – und ich auch nicht!
Weitere Kinder sehe ich, vor denen ich nur den (leider nicht vorhandenen) Hut ziehen kann: Die Jungs sind ihre 1.000m bereits zu Ende gelaufen, sind völlig erschöpft – schon allein durch die immer unerträglich werdende Hitze. Auf Anweisung stellen sie sich in den Schatten und trinken ordentlich. Die Mädchen sind nun am Start und nach der ersten Runde gesellen sich die Jungs der Klasse wieder zum Sportplatz und was geschieht? Einige laufen am Innenkreis entlang, motivieren ihre Klassenkameradinnen, die letzte Runde durchzuhalten. Sie laufen die ganze 2. Runde mit zu Ende und ziehen so ihre Mädchen ins Ziel! Dabei ist ihnen gar nichts peinlich – ihnen ist es unwichtig, dass es (sonst ja oft „blöde“) Mädchen sind, ob es gute oder schlechte Läuferinnen sind – sie helfen ihnen, obwohl sie selbst auf dem Zahnfleisch gehen. Und das tun sie, ohne dass es ihnen irgendjemand gesagt hat!!
Bewundernswert! So wünsche ich mir Schule, so wünsche ich mir die Zukunft dieser und aller Kinder: Dass sie immer Menschen in ihrem Leben finden, die sie unterstützen ins persönlich gesteckte Ziel einlaufen zu können – unabhängig ihrer Konfession, Herkunft, Geschlecht und sonstigen Kategorisierungen.

Der erste Grundstein ist gelegt – in einem starken MITEINANDER!

Arbeiten müssen wir daran ALLE, in dem wir Eltern unsere Kinder dazu erziehen und ihnen gute Vorbilder sind. 

Alles Liebe, eure

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2 Kommentare

  • Antwort lavendelglueck71 9. Juli 2014 at 22:30

    Ach das ist so schön zu lesen, das es solche Schulen gibt. Ist das eine spezielle Schule? Mein mittlerer ist gerad 4 geworden, hat höchstwahrscheinlich auch das asperger Syndrom, wir sind gerad in der “Testung”. Für ihn würd ich mir auch so eine Schule wünschen. Liebe Grüsse Kerstin

    • Antwort Stephies Blogpost 30. Juli 2014 at 18:43

      Liebe Kerstin,
      diese ist keine “besondere” Schule in dem Sinn. Es ist eine christliche Bekenntnisschule (privater Träger), die eine hohe Werteerziehung durchführt und somit alle Kinder selbstverständlich inkludiert. Auch staatliche Schulen leisten tolle Arbeit und letztlich ist doch der Zusammenhalt einer Klasse auch immer vom jeweiligen Lehrer abhängig. Oft haben die behandelnden Therapeuten auch gute Schulempfehlungen – ich würde mir einfach alles anschauen und mir immer selbst ein Bild machen, nicht zu sehr auf Gerede hören. Es gibt immer “Tage der offenen Tür”, wo man die Schule besuchen kann. Nimm Deinen Sohn mit und höre auch auf sein Urteil, wo er sich wohlfühlt. Hat bei uns immer am besten funktioniert. Kinder haben oft einen viel feineren Sinn für Orte, an denen sie “richtig” sind.
      Ich wünsche Dir eine gute Hand beim Aussuchen der Schule für Dein Kind und alles Gute für Deinen Sohn. Alles Liebe, Stephie

    Ich freue mich über Deinen Kommentar